Interview Schauspieler & Regisseur

| Statement Regisseur & Autor

Der Sprung ins Ungewisse

Vor zwanzig Jahren entschied mein Vater, sein Leben noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Er wollte alles auf „Null“ setzen und sich damit eine zweite Chance auf's Glück verschaffen. Seine Entscheidung beschäftigt mich bis heute. Besonders in einer Zeit, in der wir uns durch die alltäglichen Navigationssysteme immer weiter absichern, wächst in mir die Sehnsucht, mich zu verlieren und wieder ungeahnte Entdeckungen zu machen.

Ich wollte einen Film darüber machen, wie es sich anfühlt, wenn man mitten im Leben über Freiheit nachdenkt. Allein schon der Gedanke an den unumkehrbaren Neubeginn ist riskant. Dazu traut man sich vielleicht, wenn man nicht alleine ist. Lichtgestalten erzählt von zwei Menschen, die durch ihre Liebe so viel Kraft haben, dass sie über sich hinaus wachsen können. Sie stehen vor dem Sprung ins Ungewisse, Hand in Hand.

Die Freiheit

Katharina und Steffen fürchten, sie haben sich in den letzten Jahren irgendwie verirrt. Sie wissen, dass sie aus ihren Jugendträumen inzwischen herausgewachsen sind. Doch was ist an deren Stelle getreten? Eines Nachts fragen sie sich: „Hätten wir den Mut, einfach alles loszulassen, um irgendwo noch mal neu zu beginnen?“ Es ist ein Gedanke, der so vielen Leuten flüchtig durch den Kopf huscht und schon am nächsten Tag wieder verschwunden ist. Doch Katharina und Steffen können ihn nicht vergessen.

Ihre besten Freunde, das Paar Robert und Paul, zeigen kein Verständnis für ihr Vorhaben, sich von allem und jedem zu trennen. Die beiden Männer suchen einen Weg in der Mitte der Gesellschaft. Sebastian Schwarz spielt die Rolle von Robert mit all dieser inneren Zerrissenheit. Selbstsicher sagt er zu Katharina: „Es ist ein Gedankenspiel. Ein wirklich selbstbestimmtes Leben gibt’s ja gar nicht.“ Aber nach einer Weile wird er nachdenklich: „Wenn ihr mit eurem Ausstieg glücklich werdet, dann stellt ihr ja auch irgendwie mein Leben in Frage. Und wenn ihr scheitert, nehmt ihr mir auch die Hoffnung.“

Das Drehbuch

Ich wollte nicht nur den Leidensdruck von Katharina und Steffen beschreiben, sondern ihre unerfüllte Sehnsucht spürbar machen. So habe ich nach Formen und Bewegungen gesucht, die zusammen mit dem Sounddesign und der Musik einen entsprechenden Kosmos öffnen, in den der Zuschauer die eigenen Sehnsuchtsbilder einbringen kann. Der Film sollte auf der Oberfläche offen und unbestimmt erscheinen, obwohl dahinter eine festgelegte Matrix liegt. Der Dramaturg Alexander Kunja war mir bei der Entwicklung und Steuerung dieser Matrix ein wertvoller Partner. Er hat eine erstaunliche Vorstellungskraft.

Theresa Scholze

Theresas präzise Spielweise war mir noch aus der gemeinsamen Arbeit an Vier Fenster in Erinnerung. Sie bekommt sehr schnell ein Gefühl dafür, was ich in der Szene entwickeln will. Da reichen oft schon Halbsätze, wenn wir an etwas arbeiten. Zum Beispiel hat sie fünf Minuten durchgespielt und ich sage dann nur: „Der Atmer, etwas trüber, aber nur im letzten Moment, schon in der Bewegung.“ Theresa antwortet amüsiert: „Trüber.“ Und beim nächsten Take setzt sie das ganz genau um. Wir müssen nicht darüber sprechen, welcher Atmer gemeint ist. Und irgendwie wissen wir eigentlich beide nicht, wie man einen Atmer trüber spielt. Aber es funktioniert. Mit Theresa kann ich überaus differenziert arbeiten und sie behält dabei immer die Leichtigkeit ihres Spiels.

Max Riemelt

Max Riemelt ist sehr unverstellt in seiner Arbeitsweise. Der direkte Zugang zur Szene gibt ihm große Klarheit und Kraft. Für Lichtgestalten war das besonders wertvoll, um dem nachdenklichen Grundton des Films etwas Greifbares und Körperliches entgegen zu setzen. Ich hab in der Arbeit mit Max herausgefunden, dass es besonders spannend wird, wenn ich am Drehort ein großes Fenster der Möglichkeiten für ihn öffne und alles gut vorbereite für sein Auftauchen. Sehr wendig steigt er ein. Mit geschickten Bewegungen verändert er die Szenerie und erzeugt eine große Faszination.

Die Bildgestaltung

Es ist möglich, dass der gesamte Film von den Hauptfiguren selbst gedreht wurde. Mit dem Kameramann Mario Krause habe ich entschieden, auf den pseudoauthentischen Stil eines Homevideos zu verzichten. Wir wollten auf einem höheren ästhetischen Level einstarten, um uns Möglichkeiten zu verschaffen für die weitere visuelle Entwicklung des Films.

In all seinen präzise gestalteten Bildern hat Mario immer nach dem zärtlichen Moment gesucht. Er begriff die Szenen so sehr von innen heraus, als wäre seine Kamera eine weitere Figur des Filmes die sich unsichtbar durch die Räume bewegt und dort Trost spendet, wo sie gebraucht wird.

Das Szenenbild

Die Szenenbildnerin Paola Cordero Yannarella hat in jedem Detail ihrer Arbeit eine faszinierende Gegensätzlichkeit gesucht. Die Wohnung von Katharina und Steffen ist ein Ort der Geborgenheit und vertrauter Nähe. Und zugleich schimmert auch eine unbestimmte Abenteuerlust hindurch. Wir haben einige Zwischenwelten gebaut, wie zum Beispiel die enge Architektur unterhalb der Galerietreppe. Durch eine bestimmte Beleuchtung war es hier möglich, die Figuren aus dem Alltagskontext heraus zu nehmen. Dort flackert ihre ahnungsvolle Innenwelt auf. Im Laufe des Films verändern die Figuren dann selbst die Umgebung. Je kahler die Räume werden, desto lauter hallt darin der Ruf zum Aufbruch.

Die Montage

Als David J. Rauschning mit der Montage des Films begann, stand er kurz vor der Veröffentlichung seines Buches „Die Kunst der Auslassung. Montage im szenischen Film.“ Das war ein wunderbarer Zufall. Denn genauso wie in meinem Film Vier Fenster wollte ich auch bei Lichtgestalten wieder mit Auslassungen arbeiten. Das NICHT erzählte sollte ein Baustein der Geschichte werden. Der Zuschauer würde oftmals nur das Resultat eines Geschehens sehen und dieses dann rückwirkend in der eigenen Vorstellung rekonstruieren.

Die fragmentarische Erzählweise ergab sich durch den Charakter des selbstgedrehten Films. Katharina und Steffen geben nur dann etwas von sich preis, wenn sie die Kamera einschalten. Das gab mir die Möglichkeit, die zeitlichen und örtlichen Bezüge aufzubrechen. So verschwinden die Grenzen zwischen der Wirklichkeit der Figuren, ihrer Selbstdarstellung und ihren inneren Bildern.

Die Musik

Ich habe eigenständige Bildfolgen gedreht, die erst durch die anschliessende Tongestaltung eine erzählerische Richtung bekommen. Zum Beispiel erscheinen auf einmal farbige Lichtflecken, die über Katharinas nackten Rücken wandern. Diese Bilder eröffneten den Komponisten viele gestalterische Freiheiten. Zugleich war es wichtig, hier sehr spezifisch zu arbeiten, um die dahinterliegende Erzählung zu transportieren.

Mit dem Komponisten Chandra Fleig hatte ich bereits bei Vier Fenster zusammen gearbeitet. Ich hatte großes Glück, dass er nun bei Lichtgestalten alle Songs oder songähnlichen Stücke übernahm. Phillip Feneberg schuf eine einzigartige Kombination aus elektonischen Klängen, klassischer Instrumentalisierung und abenteuerlichem Sounddesign. Felix Raffel komponierte neben der aufregenden Passage über dem lodernden Feuer auch minimalistische, durchscheinende Stücke.

Die Produktion

In der Vorbereitungszeit und während des Drehs musste ich für meine Regiearbeit so frei wie möglich sein. Mein gesamtes Produktionsteam hat in dieser Zeit Unglaubliches geleistet. Der Produktionsleiter Martin Danisch brachte eine Entschlossenheit mit, wie ich sie nicht erwartet hatte. Ich kann mir kaum vorstellen, wie Lichtgestalten ohne ihn möglich gewesen wäre.

Die Lichtgestalten

Bei der Arbeit an einem künstlerischen Film trifft man auf Leute die Risiken eingehen. Lange Zeit fliegen sie unter dem Radar, geleitet von der Hoffnung, dass es etwas Bedeutsames zu entdecken gibt. Lichtgestalten erzählt genau von dieser Hoffnung. Der Film soll Mut machen, für den Aufbruch in eine neue Zeit.